Mai 2024 Kunstwerk im Fokus Ferdinand Knab: Zwei Landschafts-Pendants Abgründige Sehnsuchtslandschaften Als Rousseau 1761 seinen Romanhelden St. Preux einen kathartische Wanderung durch das Hochgebirge mit ragenden Bergen und schwindelnden Abgründen machen ließ, war mit dem Sensationserfolg des Romans auch ein neues Genre geboren worden: die Entdeckung des Gebirges als Seelenraum. In dem wilden Ort des Schreckens und der Zivilisationsferne, als der die Bergnatur einst die Menschen erschauern liess, las das sich seiner selbst bewußt gewordene Mensch nun wie in einem Spiegelbild von der Zerrissenheit seiner Seele und den Abgründen, die darin lauerten. In Tiecks "Runenberg" steigt ein junger Mann in die Schluchten des Mittelgebirges, um sich selbst zu finden und zu verlieren, Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" erhebt sich über Chaos und Unklarheit der ihm zu Füßen liegenden Welt, die ebenso Innen- wie Außenwelt ist. Von nun an sind schöne Gegenden kein Selbstzweck mehr in der Bildenden Kunst. Für die Romantiker des 19. Jahrhunderts ist die Landschaft eine Bühne des Innenlebens, Wälder, Wiesen und Bäche rauschende Kulissen und Wetter und atmosphärische Stimmungen übernehmen die Beleuchtung. Der aus Würzburg stammende und in München sowie Italien wirkende Maler Ferdinand Knab (1874-1902) hat diese Doppelsinnigkeit in seinen romantischen Landschaften verinnerlicht. Mit seinen Ende der 1870er Jahre entstandenen Landschafts-Pendants erhebt er die sommerliche Voralpenlandschaft zu groß gesehenen Stimmungslandschaften. Minuziös komponiert ist der Aufbau, in dem ein nahsichtiger detailreicher Vordergrund durch einen sich wie ein Trichter verengenden Mittelgrund - Prallhang des Bachs und Absturz des Felsvorsprungs - den Hintergrund der sich weitenden Landschaft teils öffnet, teils versperrt, bis die Staffelung aus Bergen im Horizont und dem Weitergleiten des Blicks in den hohen Himmel aus dem Bild in höhere Sphären wörtlich hinausführt. Beide Gemälde sind Sonnenuntergangs-Stimmungen, einmal farbenprächtig mit dramatischem Wolkenzug, einmal in der sanften Milde eines Spätsommertags. Die sinkende Sonne verleiht den Landschaften besondere Schönheit, aber auch einen Hauch elegischer Vergänglichkeit, verstärkt durch das unaufhaltsam weiterströmende Wasser des Bachlaufs und den aus dem Bild herauswandernden Schäfer mit seiner kleinen Herde - zart angedeutete Momente des Abschieds. Versöhnlichkeit liegt in der stillen Schönheit der Natur, aber auch das Bewußtsein von Dunkelheit und Gefährdung fehlt nicht, erkennbar in den schon von der Dunkelheit des Abends gestreiften Büschen und Bäumen im Vordergrund und den jäh abstürzenden nackten Felsen. Ferdinand Knab wurde von Ludwig II. zum Hofmaler ernannt und wirkte an der Ausstattung verschiedener Bauten des Königs, u.a. in Schloß Linderhof mit. Betrachtet man diese beiden Bilder, erkennt man, was am Werk des Künstlers den Märchenkönig als seelenverwandt ansprach. Es ist die traumschöne Überhöhung der Natur zu einem Sehnsuchts- und Zufluchtsort für die unruhige Seele, die von ihrem Weg in das Dunkel und die eigenen Abgründe weiß. | Ferdinand Knab (1834 Würzburg - 1902 München) |
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April 2024 150. Geburtstag Eugen Spiros Maler seines Jahrhhunderts Fast hundert Jahre umspannte das Leben Eugen Spiro, des 1874 im schlesischen Breslau geborenen Sohnes eines jüdischen Kantors, der 1972 in New York, der Weltmetroppole der Moderne, die Augen für immer schloss. Dazwischen liegen Stationen in Deutschland, Frankreich und Italien, immer am Puls der Zeit, ob es sich um die damals progressive Kunststadt München oder um die Künstlerkolonie des Café du Dôme in Paris handelt, ob die Tätigkeit in der Berliner Secession, deren Präsident er zeitweise war oder die Mitbegründung der Union des Artistes Libres die in Paris die europäischen Exil-Künstler gegen den Nationalsozialismus vereinte. Als Kosmopolit nannte er die Orte seine Heimat, die ihn künstlerisch inspirierten, sei es durch die Schönheit der Landschaft wie im mediterranen Raum, den er auch im fortgeschrittenen Alter unermüdlich auf der Suche nach Motiven durchstreifte , oder durch die Lebendigkeit des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, wie im Berlin der 1920er Jahre, wo sich die Fine Fleur der Prominenz aus Politik, Wissenschaft und Kultur in sein Atelier drängte, um ein Konterfei von der Hand des damals angesagtesten Porträtisten zu erhalten. Seine nimmermüde Bereitschaft, neue Erfahrungen zu machen, verleiht seiner Malerei die Vitalität, die auch sein langes schöpferisches Leben prägt. Nach seiner Studienzeit als Meisterschüler bei Franz von Stuck nahm er die Impulse des Jugendstils auf und machte mit Ausstellungs-Beteiligungen an der Münchner und Berliner Secession auf sich aufmerksam. Der ihm kongeniale Stil war jedoch der Impressionsimus, und deshalb zog es ihn bald nach der Jahrhundertwende nach Paris, wo er in der kunstgesättigten Atmosphäre der Stadt seine kreativen Kräfte entfalten und zu seinem besonderen Stil finden konnte. Das Berlin der Goldenen Zwanziger mit seinem eruptiven Aufbruch in die Moderne war dann die ideale Kulisse für seine einfühlsame Porträtkunst, der wir prägende Vergegenwärtigungen von Persönlichkeiten so verschiedener Herkunft wie Lovis Corinth über Leni Riefenstahl bis zu Max Planck verdanken. Eugen Spiro verdankte es einer selten Gabe der Soziabilität und Liebenswürdigkeit, dass er sich Freundschaften erwerben konnte, die ihm erlaubten, aus persönlicher Kenntnis einen Porträtauftrag zu einem gültigen Charakterbild umzuwandeln. Er kannte sie alle, die wichtig waren in jener Zeit, aus persönlichem Umgang, beruflicher Verbindung oder aus Verwandtschafttsbeziehungen, die von Samuel Fischer von der Weltbühne über Rainer Maria Rilke - Spiros Schwester war dessenl letzte Muse - hin zu dem skandalumwitterten Maler Balthus reichten. Mitte der 1930er Jahre nötigte die Machtergreifung dem inzwischen sechzigjährigem Künstler jüdischer Herkunft und seiner Familie einen erneuten Heimatwechsel auf, zuerst nach Paris, und, als das Vorrücken der hitlerdeutschen Armee das Verweilen dort bedrohlich machte, nach Südfrankreich, von wo aus Spiro dank der persönlichen Verwendung Thomas Manns bei Präsident Roosevelt in die USA ausreisen konnte. Dort fand er seine letzte, glückliche Heimstatt, die er zwischen der Großstadt New York und dem ländlichen Virginia aufteilte, nicht zu vergessen die häufigen Malbesuche im jetzt "alten Europa". Bis ins hohe Alter verließ ihn seine Schaffenskratft nicht, wie das "Selbstbildnis in Torbole" beweist, das ihn als fünfundachtzigjährigen Mann zeigt. Dass Eugen Spiro wegen seiner Herkunft im Dritten Reich verfemt wurde und sein letztes Lebensdrittel im Exil fern Europas verbrachte, trug woh mit dazu bei, dass sein Name im Nachkriegs-Deutschland nicht mehr so präsent war, wie es seine zentrale Stellung im Kunstleben der Weimarer Republik hätte erwarten lassen. Seine Gemälde sind über zahlreiche Museen weltweit zerstreut. Sein Sohn Peter Spiro machte es von London aus zu seiner Aufgabe, die Erinnerung an Leben und Werk dieses bedeutenden Malers nicht verblassen zu lassen. Vera Liebrecgt ("Eugen Spiro. Leben und Werk"), Wilko von Abercron in mehrere Publikationen der auch das Werkverzeichnis zu Eugen Spiro ("Eugen Spiro 1874-1972 Spiegel seines Jahrhunderts. Monographie und Werkverzeichnis") verfasste bis jüngst zu Jan Gehlsen und Wolfgang Feyerabend ("Spiro. Der Maler Eugen Spiro 1874-1972. Berlin - Paris - New York") haben in Deutschland die Erforschung des Werkes Eugen Spiros vorangetrieben. Die Wiederkehr des 150. Geburtstags Eugen Spiro am 18.4.2024 wurde im Literaturhaus Berlin mit der Vorstellung dieser jüngsten Biographie Eugen Spiros gewürdigt. |
Eugen Spiro: Selbstporträt in Torbole, 1959 Öl auf Leinwand, 51 x 61 cm Werkverzeichnis: Abercron A-59-6 Literatur: Angela Heilmann: Franz von Stuck und seine Schüler. Ausstellungsktalog Langenargen 2014, Seite 44 |
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